Mit dem Experiment, dessen Start niederländische Forscher gegenwärtig vorbereiten, befinden sie sich auf einer Vorreiterposition: Geplant ist eine große Studie, die untersucht, ob eine Verbesserung des Ernährungsstatus eine Reduzierung von Aggressivität und von antisozialem Verhalten herbeiführen kann. Dazu werden Häftlingen mit Aggressionsproblematik Nahrungsergänzungsstoffe angeboten. Aufbauend auf früheren Arbeiten erhalten Insassen aus fünf niederländischen Gefängnissen und zwei Hafteinrichtungen für Jugendliche ab dem nächsten Jahr Vitamine, Mineralstoffe und Fischöl. Erweist sich dieser Ansatz als erfolgreich, so plant das Justizministerium eine Ausweitung des Programms und die Bereitstellung von Mikronährstoffen an weitere Gefängnisinsassen mit Gewaltneigung.
Die während der letzten Jahre in mehreren Ländern unabhängig voneinander durchgeführte Forschung lieferte überzeugende Ergebnisse dafür, dass eine unzureichende Ernährung, die wenige Mikronährstoffe beinhaltet, ein ursächlicher Faktor für antisoziales Verhalten sein könnte. Diese Erkenntnis eröffnet zugleich die Möglichkeit eines fundamental neuen Ansatzes zur Reduzierung von gewaltbereitem, aggressivem Verhalten innerhalb unserer Gesellschaften, indem nahe liegt, dass durch eine Behebung des Mikronährstoffdefizits eine Verbesserung des Verhaltens bewirkt werden kann.
Eine britische, im Jahr 2002 veröffentlichte Studie bildet einen der Meilensteine auf diesem Forschungsgebiet. Sie lieferte anhand eines gut ausgearbeiteten Versuchs klare Belege für den Zusammenhang zwischen der Ernährung und gewaltbereitem Verhalten. Auch hier erhielten Gefängnisinsassen ergänzend zu ihrer Nahrung Mikronährstoffe. Im Verlauf der Untersuchung zeigte sich, dass innerhalb der Gruppe derer, die Mikronährstoffe bekamen, 37% weniger Gewaltvergehen stattfanden und insgesamt 26% weniger Verstöße, wobei die Rate disziplinarischer Vorfälle bei der Placebo-Gruppe im Wesentlichen unverändert blieb. Infolge der zugrunde gelegten Methodologie sowie der hohen Qualität der randomisierten, placebo-kontrollierten Doppelblind-Studie zog diese Veröffentlichung äußerst große Anerkennung seitens der akademischen Gemeinschaft auf sich. Als Resultat dieser und nachfolgender Arbeiten wurde und wird zunehmend augenfällig, welche Rolle die Ergänzung von Mikronährstoffen bei der Ausprägung unseres sozialen Verhaltens potentiell spielen kann – sowohl innerhalb von Gefängnissen als auch in sozialen Gemeinschaften außerhalb.
Die bei diesem Forschungsgegenstand zugrunde liegende Idee ist eigentlich recht simpel, nämlich dass das Gehirn, so wie jedes andere Organ unseres Körpers, ausreichend versorgt werden muss, und dass daher eine Berücksichtigung der entsprechenden Nährstoffbedürfnisse des Gehirns entscheidend ist, will man die verhaltensbestimmenden Schlüsselfaktoren verstehen. Interessanterweise ist diese Hypothese so neu nicht. Als Archibald Sinclair, seinerzeit als Staatsminister für britische Luftwaffe tätig, die Regierung während des Krieges, 1942, davon überzeugte, die Ernährungslage der Kinder mithilfe von Lebertran vom Kabeljau und durch Orangensaft zu verbessern, ging er davon aus, dass neben anderen Leiden auch eine schlechte Ernährung zu antisozialem Verhalten führen könne.
Weitere Unterstützung erlangte diese Theorie durch Arbeiten aus den USA, die nachwiesen, dass bei Schulkindern, die über 4 Monate hinweg täglich eine Nahrungsergänzung erhielten, die zumindest 50 Prozent des offiziell empfohlenen Tagesbedarfs (RDA) abdeckte, die Rate von Bedrohungen und handgreiflichen Auseinandersetzungen ebenso sank, wie jene von Zerstörungswut, von respektlosem Betragen, unordentlichem Benehmen, Aufsässigkeit, Obszönität, Arbeitsverweigerung, der Gefährdung anderer und von noch weiteren Ärgernissen.
Da Aggression im Gefängnisalltag vieler Länder eine übliche Erscheinung darstellt und der Zusammenhang zwischen der Ernährung im allgemeinen, der Zufuhr von Mikronährstoffen im besonderen und dem Verhalten von Individuen in wachsendem Maße verstanden wird, dürfte die Erkenntnis reifen, dass eine bessere Ernährung – im Gegensatz zu schlichtweg härteren Strafen – einen bedeutenden Beitrag leisten kann zugunsten der Erreichung einer friedlicheren und harmonischeren Welt.