Robert Oulds ist Stadtverordneter in London und Mitglied in der Royal Society of Arts. Der studierte Kommunikationswissenschaftler ist langjähriger Direktor der Bruges Gruppe, einer angesehenen britischen Denkfabrik, die seit 1989 an vorderster Front die Debatte anführte, in welches Verhältnis sich das Vereinigte Königreich zur Europäischen Union sowie zur Welt insgesamt positionieren sollte. Im Gespräch mit Paul Anthony Taylor äußert er sich über die jüngste Entscheidung der Briten zum Austritt ihres Landes aus der EU, und er wirft einen Blick voraus, wie eine Welt nach erfolgtem Brexit aussehen wird.
PAUL: Was ist Ihr Hintergrund, wie kamen Sie zur Bruges Group und was brachte Sie zu der britischen EU-Austrittskampagne? |
ROBERT: Der Beginn meiner Beteiligung bei der Bruges Group kam vor vielen Jahren zustande, als ich meinen Master-Abschluss in Kommunikationsmanagement machte. Einer der Kernaspekte dieses Fachs lag darin, mit echten Organisationen zu kooperieren und eigene Forschungsergebnisse und Projekte zu erarbeiten, mit nicht bloß akademischem Nutzen, sondern diese sollten auch einem Mehrwert für die Allgemeinheit sowie den privaten Sektor haben.
Zu dieser Zeit war ich eigentlich darauf aus, Sportjournalist zu werden. Doch je weiter ich mit dem Master-Studium vorankam, desto stärker bemerkte ich, dass Politik mir immer wichtiger wurde und dass es dort Belange von großer Tragweite gibt, insbesondere die nach einer Lösung verlangenden Probleme mit der EU.
So setzte ich also einige Forschungsprojekte in Gang, welche die Kommunikation verschiedener politischer Organisationen unterstützten, etwa der britischen Konservativen. Themen waren zum Beispiel „junge Leute und Wahlen“ oder „wie lassen sich junge Menschen für Politik begeistern“.
Meine Master-Abschlussarbeit bezog sich auf Belange in Verbindung mit der EU. Daher kontaktierte ich die Bruges Group und erklärte, ich müsste im Rahmen dessen einen Teil des Werkes erarbeiten und dass ich hierfür etwas tun wolle, das sie und ihre Kommunikation unterstützen könnte. Dies führte letztlich dazu, dass ich im Jahr 2001 Kampagnenleiter der Gruppe wurde und später dann zum Direktor der Bruges Group, jene Funktion, die ich heute innehabe. Seit dieser Zeit bin ich sehr stark ins politische Geschehen involviert.
PAUL: Während der Referendumskampagne zum Brexit stellte der Politiker Boris Johnson öffentlich fest, dass die EU, indem sie versuche, einen mächtigen Superstaat zu erschaffen, ein ähnliches Ziel verfolge wie seinerzeit Hitler. Zwar würden die Brüsseler Bürokraten „andere Methoden“ als der NS-Diktator nutzen, doch sei ihnen die Absicht gemein, Europa unter eine „Autorität“ zu stellen, warnte er. Angesichts der historischen Korrektheit dieser Feststellung, waren Sie überrascht davon, welche Kontroverse es hervorrief? |
ROBERT: Naja, einerseits überrascht mich keine Äußerung, die von Boris stammt! Doch während die EU eine gänzlich andere Organisation als das Dritte Reich ist, gibt es viele Richtungen innerhalb der Politik auf dem europäischen Kontinent, bei denen bestimmte Ideologien immer auf eine Zentralisierung abzielen. Diese Bestrebungen reichen Jahrhunderte zurück und viele Menschen haben diese Ideen übernommen – um ihr eigenes politisches Ende zu besiegeln.
In der Vergangenheit war es stets ein fundamentaler Aspekt der britischen Außenpolitik, dafür zu sorgen, dass der europäische Kontinent niemals von einer einzelnen politischen Macht dominiert wurde. Nachvollziehen lässt sich dies an der Politik des Vereinigten Königreichs unter der Regentschaft von Elisabeth I. oder am Verhalten Großbritanniens während der Napoleonischen Kriege oder an der zweimaligen Verteidigung Europas in den beiden Weltkriegen, zunächst gegen den deutschen Kaiser Wilhelm II. und dann gegen das Dritte Reich Hitlers.
Eines der Wesensmerkmale der Machtzentralisierung in Europa ist, dass sie antidemokratisch ist. Was uns letzten Endes dabei half, Hitler und das Nazi-Reich zu überwinden, war der Glaube an die Ideen eines liberalen Nationalstaats. Die EU und ihr Glaube an eine übergeordnete Regierung sind das Gegenteil davon. Jose Manuel Barroso, vormaliger Präsident der Europäischen Kommission, verglich die EU bekanntermaßen mit einem Imperium und gestand damit ein, dass die vorherigen Versuche, Europa durch Zwang zu vereinen, nunmehr anhand friedlicher Mittel vollzogen würden. Doch das Ziel ist letztlich das gleiche. Die EU will die Kontrolle über die Nationalstaaten erreichen und auch über deren Demokratien.Die EU ist mehr als eine supranationale Regierung, sie ist mehr als ein System von Regierungen, das über den Nationalstaaten steht, und anstatt unsere Vielfalt hochleben zu lassen und voneinander zu lernen, werden grenzübergreifende Regeln und Richtlinien erlassen zur Harmonisierung und Standardisierung.
Um mal ein Beispiel zu nennen: Der Erfolg des antiken Griechenlands kam nicht etwa davon, dass alles standardisiert wurde. Tatsächlich war das Land von hoher Diversität geprägt, bestehend aus verschiedenen Stadtstaaten. Dies legte den Grundstein für ein grandioses Aufblühen des Denkens und des Wissens. Doch die EU hat diese Idee verworfen und ersetzt sie durch ein von Konzernen bestimmtes Modell; im Grunde der letzte Atemzug einer überkommenen Welt, in der Konzerne um die Kontrolle von Regierungen ringen. Wir sind nicht darauf angewiesen, dass unser Leben von Personen bestimmt wird, die in irgendeinem Elfenbeinturm in Brüssel sitzen und uns gegenüber nicht einmal demokratisch verantwortlich sind.PAUL: Teile der britischen Medien sahen sich gerade in jüngster Zeit massiver Kritik ausgesetzt wegen ihrer klaren Tendenz zugunsten der EU, welche sie in ihrer Brexit-Berichterstattung an den Tag legten. Ich denke hier besonders an die BBC. Einige Menschen gehen sogar soweit, zu sagen, die BBC sei Teil der so genannten „Fake-News“ produzierenden Medien. Was ist Ihre Ansicht hierzu? |
ROBERT: Also die BBC wird teilweise finanziert von der Europäischen Investitionsbank – einer EU-Institution –, sodass es tatsächlich eine direkte Beziehung zur EU gibt. Die übrigen Geldmittel stammen aus Fernsehgebühren, die jeder zahlt, der in Großbritannien einen Fernseher besitzt. Das Programmangebot der BBC muss daher nicht unbedingt mit den Erwartungen der britischen Bevölkerung übereinstimmen.
Seit 1970 bestand auf Seiten der BBC fortwährend eine deutliche Tendenz zugunsten der EU. Es gibt bei der BBC eine gewisse Arroganz, nämlich, dass man es dort besser wisse. Man betrachtet sich dort als Teil der Intelligenzija, die die Dinge eben besser versteht, als gewöhnliche Leute. Die EU verkörpert perfekt diese Denkweise.
Eine unabhängige Analyse, welche die BBC-Produktionen während des Brexit-Referendums untersuchte, ergab eindeutig, dass es im Hinblick auf das Verlassen der EU keine ausgeglichene Berichterstattung gab. Und dann, nach dem Referendum, als sich Großbritannien mehrheitlich für die Unabhängigkeit des Landes ausgesprochen hatte, da hätten andernorts die meisten nationalen Medien das Ergebnis gefeiert. In nahezu jedem Land der Erde wäre es die Aufgabe der Medien, die nationalen Interessen an erste Stelle zu setzen. Hingegen verlegten sich die BBC und andere Teile der heimischen Medien darauf, Schreckensberichte zu veröffentlichen und zu versuchen, die britische Wirtschaft klein zu reden. Ungeachtet dessen wuchs jedoch die britische Wirtschaft schneller als zuvor und die Beschäftigungslosigkeit fiel auf das niedrigste Niveau seit 1975.
PAUL: Denken Sie, andere europäische Länder werden dem Beispiel Großbritanniens folgen und die EU verlassen? Falls ja, welches Land wäre Ihrer Einschätzung nach das erste? |
ROBERT: Wenn Großbritannien den Brexit erfolgreich bewältigt, dann gibt es keinen Zweifel, dass andere Länder dem Austritt folgen werden. Um eine Wendung des früheren Premierministers William Pitt dem Jüngeren aufzugreifen – ich denke, Großbritannien wird sich aufgrund seiner Anstrengungen selbst bewahren und durch sein Beispiel Europa retten. In gewisser Hinsicht ist ein Brexit also nichts Neues, Großbritannien erfüllt schlichtweg seine traditionelle Rolle und öffnet sich der Welt von morgen.
Was Länder angeht, die unserem Beispiel folgen werden, bleibt uns nur, abzuwarten. In den skandinavischen Ländern gibt es viele Menschen, die die EU verlassen möchten. Die Bruges Group arbeitet unter anderem eng mit dänischen Euroskeptikern zusammen, und auch in Schweden gibt es eine EU-Opposition.
Als Folge der Euro-Währungskrise geriet auch Italien, ein komplexes Land mit beeindruckender Geschichte und großem Erfindungsreichtum, unter die ökonomische Vorherrschaft Deutschlands. Italien leidet immens daran, Mitglied in der EU zu sein, besonders infolge der gemeinsamen Euro-Währung. Die Banken des Landes sind jetzt zahlungsunfähig und werden – entgegen der eigenen EU-Vorschriften – von der Europäischen Zentralbank unterstützt.
Unterdessen zaubert die EU neues Geld hervor, wirft Billionen Euro auf den Markt, um zu versuchen, ein Finanzsystem am Leben zu erhalten, das bereits Pleite gegangen ist. Der Zinssatz wurde massiv heruntergesetzt, soweit, dass wir mittlerweile Negativzinsen haben. Das alles ist reine Phantom-Wirtschaft und sie verschiebt die Misere nur noch weiter nach hinten bis zum endgültigen Finanz-Crash, wenn die Dinge umso schlimmer hereinbrechen werden.
Auch viele deutsche Banken sind pleite und werden vom deutschen Staat und der EU am Leben erhalten. Was sie aber nicht daran hindert, Griechenland Geld zu leihen. Das Land muss dann die Kredite an die deutschen Banken abstottern, obwohl die griechische Regierung nicht einmal in der Lage ist, die Ernährung der eigenen Bevölkerung sicherzustellen.
Die EU ist zur Brechstange der großen Konzerne geworden. Man muss einfach nur die Beweise zur Kenntnis nehmen, um zu sehen, wer von all dem Ganzen profitiert. Wenn du eine Institution hast, die Gesetze für 500 Millionen Menschen macht, dann gibst du zu viel Einfluss ab und machst es denen, die das Spiel nach ihren eigenen Regeln beherrschen wollen, zu leicht.
PAUL: Die Pro-EU-Seite fährt damit fort, verhängnisvolle Untergangsszenarien an die Wand zu malen über angeblich düstere Wirtschaftsaussichten, auf die sich Großbritannien als Folge des Brexits gefasst machen soll. Sind Sie überzeugt davon, dass das Land eine günstige Zukunft außerhalb der EU erwartet? |
ROBERT: Absolut! Großbritannien wird weiterhin Zugang zum EU-Markt haben, da ein ganzes Bündel von internationalen Verträgen, etwa die der Welthandelsorganisation (WTO), besteht, welche anderen Ländern rund um den Globus ebendiesen Zugang gestatten. Beispielsweise verkaufen sowohl die Vereinigten Staaten als auch China ihre Produkte in Europa, und beide Länder sind keine Mitglieder in der EU.
Außerdem ist London das weltweit führende Finanzzentrum und hier haben mehr deutsche Banken ihren Sitz als es sie in Frankfurt gibt. Großbritannien stimmt bereits mit den EU-Finanzvorschriften überein und wird somit zweifellos auch nach dem Brexit die Geschäfte wie zuvor weiterführen, egal ob bezogen auf Europa oder die übrige Welt.
PAUL: Überall auf der Welt wachen Millionen Menschen auf und sehen der Realität ins Gesicht, dass angebliche Vorteile der Globalisierung sich nicht erfüllt haben. Stattdessen scheinen die größten Profiteure bestimmte Interessensgruppen und Lobbyisten zu sein, die einen direkten Zugang zum Regierungsapparat haben und daher in der Lage sind, länderübergreifende Übereinkünfte und internationale Gesetze nach ihrem Gusto zu gestalten. Was glauben Sie, welche Aussichten wir haben, diese undemokratische Situation, in der Welt nach dem Brexit, zu verändern? |
ROBERT: Ich denke, der Brexit wird als einer der ersten Schritte verstanden werden, mit dem ein wirklich verkehrter Verlauf der Globalisierung korrigiert wird; einer Globalisierung, die schlicht den Eliten zu mehr Macht verhalf und ihnen ermöglichte, die Regeln so anzupassen, wie sie es für nötig hielten. Andererseits geht es beim Brexit darum, das Wirken und Handeln Großbritanniens in der globalisierten Welt zu stärken, Entscheidungsbefugnisse wieder zurück zu erlangen in Angelegenheiten, die von der eigenen Regierung übernommen werden können, und darum, Verträge zu verhandeln mit wem auch immer.
Länder warten bereits darauf, Übereinkommen mit uns zu schließen. Großbritannien will mit den Gremien der WTO zusammenarbeiten, und wir wollen dort mit unserer eigenen Stimme vertreten sein. Wir wollen nicht, dass uns ein EU-Kommissar dort repräsentiert. Anstelle dessen werden wir unseren Sitz in der WTO wieder erlangen und daran teilhaben, die Regeln festzulegen, und Allianzen zu bilden, die uns passen.
Das EU-Modell, bei dem wir eine Europäische Kommission haben, welche diese Dinge beeinflusst und steuert, ist den meisten Menschen in Großbritannien ein Dorn im Auge. Unser Land wird sich wieder der übrigen Welt anschließen, doch nicht in Form einer Globalisierung, bei der große Institutionen nach ihren eigenen Vorstellungen die Regeln vorgeben. Vielmehr werden wir ein Land sein, das imstande ist, anderen Ländern die Hand entgegen zu strecken und mit ihnen in einer Weise zu kooperieren, wie es uns die moderne Digital-Technologie heutzutage erlaubt.
Und dies ist nur der Beginn des Prozesses. Wir werden uns in eine sehr aufregende Welt hineinbewegen. Eine Welt, in der echte Globalisierung darin besteht, dass Menschen mithilfe der Technologie weltweit Dinge koordinieren, miteinander kooperieren und kommunizieren. Es wird keine Entwicklung sein, die unter massivem Aufwand komplexer Prozeduren bewerkstelligt wird, von irgendwelchen Personen, die im Elfenbeinturm sitzen. Sondern wir selbst werden dafür sorgen. Und das ist es, was Großbritannien mit dem Brexit verfolgt.
Letztlich glaube ich, dass der Brexit ein Ende macht mit jener Art von konzerngelenkter Politik, die sich als Globalisierung tarnt, aber in Wirklichkeit nur das Werkzeug abgibt, um die Interessen einiger weniger Leute durchzusetzen. Das ist der eigentliche Grund, weshalb ich denke, dass andere Länder ebenfalls die EU verlassen werden und dass wir alle eine weit demokratischere Zukunft vor uns haben werden und eine gedeihliche obendrein.