Es kommt nicht häufig vor, dass ich mit dem Kommissionspräsidenten der Brüsseler EU, dass ich mit Jean Claude Juncker einer Meinung bin. Doch eine dieser wenigen Ausnahmen völliger Übereinstimmung gab es in der vergangenen Woche. Während einer Sitzung des EU-Parlaments wurde Rückschau genommen auf den sechsmonatigen Ratsvorsitz Maltas, des kleinsten Mitgliedslandes des Brüsseler EU-Konstrukts, und auch Juncker hielt eine Rede im Parlament. Dabei musste er jedoch feststellen, dass nur etwa 30 der 751 Abgeordneten anwesend waren und er bezeichnete die Institution daraufhin als „lächerlich“. Offen gestanden wüsste ich selbst kein besseres Wort, um die absurde Natur dieses Parlaments noch treffender zu charakterisieren.
Ungeachtet der verärgerten Proteste von Antonio Tajani, dem Präsidenten des Parlaments (insgesamt kann die aufgeblähte Bürokratie der Brüsseler EU mit ganzen 7 Präsidentschaftsposten aufwarten, wobei nicht eines dieser politischen Ämter dadurch besetzt wird, dass die Bürger Europas per Wahlen darüber abstimmen), beharrte Juncker unbeeindruckt auf seiner Attacke und erklärte Tajanis Zurechtweisung für nichtig. „Niemals wieder“, so Juncker, werde er „an einem derartigen Treffen teilnehmen“. Es hat ganz den Anschein, als würde der unmittelbar bevorstehende Austritt Großbritanniens aus der Brüsseler EU nicht nur das Von-der-Fahne-gehen höherer Beamter vorantreiben. Auch der Abfallprozess selbst gibt sich zunehmend der Öffentlichkeit preis.
Zumindest auf dem Papier unterliegt die Brüsseler-EU-Kommission der Kontrolle durch das Brüsseler-EU-Parlament. Diesen Umstand musste auch Juncker in seinem brüsken Wortgefecht mit Tajani – wenn auch mit Widerwillen – einräumen. Freilich sieht die Wirklichkeit hinter diesem kurzen Geplänkel komplett anders aus. Die eigentliche politische Machtausübung in Europa liegt auf Seiten der Kommission und bei den dahinter stehenden multinationalen Wirtschaftsinteressen. Weit davon entfernt, der Kontrolle des Parlaments zu unterstehen, fungiert die Kommission auf europäischer Ebene de facto als Ausführungsorgan. Dem Parlament dagegen fehlt jegliches Recht, unabhängig Gesetze zu initiieren. Es fristet vielmehr sein Dasein als bloße Abnick-Anstalt, welche die von der Kommission hereingereichten Gesetze als genehmigt abstempelt.
Die aus 28 Mitgliedern bestehende Kommission hält die Hand auf den Gesetzgebungsprozess in Europa. Jedoch auch niemand dieser so genannten „Kommissare“ gelangte durch eine einwandfreie demokratische Wahl in dieses Gremium. Jedes einzelne Kommissionsmitglied – sogar deren Präsident Jean-Claude Juncker selbst – wird einfach in seine Funktionen ernannt. Schlimmer noch: Die Einflussnahme durch Wirtschaftsinteressen und bestimmte andere Lobbygruppen ist bei der Ernennung aller hochrangigen Posten in der Brüsseler EU unvergleichbar größer als die Mitwirkung der rund 500 Millionen EU-Bürger. So bezog beispielsweise Herman Van Rompuy im Jahr 2009 den Posten des Ratspräsidenten der Brüsseler EU im Anschluss an ein Elite-Dinner der geheim zusammenkommenden Bilderberg-Gruppe.
Wäre die Brüsseler EU wahrhaftig an Reformen interessiert, hätte sie die für eine echte Demokratie notwendigen Schritte bereits vor Jahren einleiten können. Doch egal wie oft schon auf dieses Demokratiedefizit und den mangelnden Zuspruch seitens der Bevölkerung Europas hingewiesen wurde – stets erwies sich dieses Konstrukt als vollkommen unfähig zu Veränderungen. Ein Paradebeispiel hierfür ergab sich nach Ablehnung der so genannten „EU-Verfassung“ in den Referenden in Frankreich und den Niederlanden im Jahr 2005. Als „Ermächtigungsgesetz“ gedacht, zur Festigung der Vorherrschaft der Brüsseler EU über Europa, legte der Verfassungstext den Grundstein für ein System einer europäischen Regierung, welche doch absolut undemokratisch ist.
In jeder echten Demokratie würde die auf Basis von ordentlich zustande gekommenen Referenden unmissverständlich geäußerte Zurückweisung eines Verfassungsentwurfs ganz ohne Zweifel als klarer Verlust der Unterstützung der Bürger verstanden werden. Nicht so bei der Brüsseler EU: In typisch undemokratischer Manier wurden 96 Prozent des Textes einfach neu verpackt und in den Vertrag von Lissabon umdeklariert.
Das einzige europäische Land, dem anschließend eine Abstimmung über den so genannten Vertrag von Lissabon zugestanden wurde, war Irland – und selbst dies nur, weil es von dessen nationaler Verfassung so eingefordert wurde. Im Juni 2008 lag der Ball also im Spielfeld der irischen Bevölkerung, und es war ein Schock für die Brüsseler EU, als ihr von dort ein schallendes „Nein“ entgegenschlug. Doch abermals lehnte die Brüsseler EU es ab, dieses Ergebnis zu akzeptieren und Irland wurde aufgefordert, erneut abzustimmen.
Bedeutsam bei diesem zweiten Referendum war indes, dass bereits in Vorbereitung dessen, Irlands Medienbestimmungen zur Unparteilichkeit dahingehend geändert wurden, dass kommerzielle Rundfunk- und Fernsehanstalten fortan nicht mehr beiden Seiten ein Gleichgewicht an Sendezeit geben mussten. Somit kam es bei der wiederholten Abstimmung im Oktober 2009 zu einem „Ja“ und der Vertrag von Lissabon wurde zwei Monate darauf in der Brüsseler EU zum Gesetz. So viel also zur europäischen Demokratie.
Etwas früher in diesem Jahr gestand Jean-Claude Juncker ein, dass die Entscheidung Großbritanniens, die Brüsseler EU zu verlassen, aus Sicht des Konstrukts als ein Misserfolg und eine Tragödie aufgefasst werden. Angesichts der permanenten Verweigerung dieses Machtapparats, sich auf echte demokratische Reformen einzulassen, ist die Tatsache, dass Juncker und seine Kollegen den Brexit letztlich als eine Überraschung empfanden, wohl eines der lächerlichsten Dinge überhaupt.