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Mehr Kranke bitte! – Abrechnungsbetrügerei mit System

Mit Beginn des Jahres 2009 wurde ein sogenannter morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich eingeführt. Was hat es mit diesem Wortungetüm auf sich? Dahinter steckt ein Umverteilungsmechanismus, der dazu dienen soll, jenen Krankenkassen einen finanziellen Ausgleich zu verschaffen, die unter ihren Versicherten vermehrt chronisch kranke und somit behandlungsintensive Patienten betreuen. Denn naturgemäß sehen sich diese Kassen höheren Ausgaben gegenüber als solche mit vielen jungen, gesunden Versicherten. Doch bald schon keimte der Verdacht auf, einige Kassen könnten ihre Mitglieder auf dem Papier kränker machen, als sie es wirklich sind, um auf diese Weise an mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds zu kommen.

Organisiertes Abzocken der Versicherten durch Krankenkassen und Ärzte

Der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, äußerte dazu Ende des vorigen Jahres in einem Interview mit der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« (FAS), dass ein regelrechter Wettbewerb zwischen den Kassen entstanden sei. Wer es schaffe, möglichst viele Diagnosen zu dokumentieren, erhalte mehr Geld aus dem großen Topf. Um effektive Betrugsmöglichkeiten mit möglichst unauffälligen Praktiken zu finden, wurden selbst Unternehmensberater bei den Kassen eingebunden. Ärzten wurden entsprechende Anreize zu Manipulationen gegeben. So sollen Kassen z.B. 10 Euro je Fall gezahlt haben, wenn diese die Patienten auf dem Papier einfach kränker machten. Sogar Verträge mit Ärztevereinigungen diesbezüglich solle es geben. Für all diesen organisierten Betrug hätten die Kassen seit 2014 einen unglaublichen Betrag von einer Milliarde Euro ausgegeben. Diese Mittel fehlten natürlich für die wirkliche Krankenbetreuung, berichtete die FAS. Beteiligt an dem Betrugssystem sollen vor allem die großen regionalen Kassen sein. Vermutlich meinte Baas die Kassen der AOK aber auch die TK selbst.

Dass dieses System des Risikoausgleichs stark manipulationsanfällig sei, war allerdings schon länger bekannt. Unter dem Deckmantel einer besseren Versorgung versteckt, wurden Ärzte mit Extrageldern für unsinnig durchgeführte bzw. angegebene Diagnosen „geschmiert“. Aufgedeckt wurde auch, dass es sogar Betreuungsstrukturverträge zwischen einer Krankenkasse und der jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigung im Bundesland gibt. Einige Kassen wiesen derartige Manipulationsvorwürfe zurück. Natürlich hat das Bundesversicherungsamt diesen Abrechnungsbetrug scharf verurteilt. Auch Ermittlungen sollen eingeleitet worden sein.

Noch mehr Betrugsfälle: Apotheken, Pflegedienste, Arztpraxen

Wie die Kaufmännische Krankenkasse im März dieses Jahres berichtete, wurden erneut Hunderte Betrugsfälle mit Millionenschaden aufgedeckt. Der Gesamtschaden bei 810 entdeckten Abrechnungsmanipulationen im Jahr 2016 summierte sich auf 1,8 Millionen Euro. Im Jahr zuvor wurden 287 Betrügereien mit einem Schaden von 1,4 Millionen Euro nachgewiesen. Der bundesweite Schaden blieb indes im Dunkeln. Man höre und staune: Mit knapp 1,2 Millionen Euro verursachten Apotheken die höchste Schadenssumme bei diesen aufgedeckten Fällen im Jahr 2016. Beispielsweise rechnete eine Apotheke 50-mal so viele Blutzuckerstreifen ab, wie sie tatsächlich abgegeben hatte. Die ambulanten Pflegedienste folgen auf Platz 2 der Betrugsfälle. So rechnete ein Pflegedienst einfach frei erfundene Pflegekurse ab.

Auch ein doppeltes Abkassieren von vermeintlichen Zusatzleistungen gehört zum Betrugs-Repertoire. So rechneten einige Ärzte zum einen bei der Krankenkasse ab, und ein zweites Mal wurde der Betrag als Selbstzahlerleistung noch einmal vom Versicherten abgefordert. Der Patient ist also gut beraten, geforderte Zuzahlungen der Arztpraxen genau zu hinterfragen und sich bei der Krankenkasse zu erkundigen.

Leider müssen wir davon ausgehen, dass diese korrupten Machenschaften nur die Spitze des Eisbergs sind. Neben der eigentlichen Pharma-Mafia, die das Investmentgeschäft mit der Krankheit menschenverachtend perfektioniert hat, wollen natürlich auch die kleineren Nutznießer im System etwas mehr vom Kuchen der Beitragszahler haben. Die steigenden Versichertenbeiträge an die Krankenkassen geben es ja her. Wen wundert dieses kriminelle Engagement eigentlich noch, in einem Gesundheitssystem, das faktisch auf den Erhalt und die Ausweitung von Krankheiten ausgelegt ist und folglich den Profit über das Leben stellt?