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Warum ist diese Angelegenheit – selbst wenn Sie nicht in Großbritannien oder in Europa leben – so wichtig für die Natürliche Gesundheit?
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„Wir werden es überwinden“

August Kowalczyk, Überlebender des Arbeitslagers der IG Farben in Auschwitz, trägt ein bewegendes Zeugnis über die Unmenschlichkeit des „Geschäfts mit der Krankheit“ vor, Sonntag, 15. Juni 2003 in Den Haag

Sehr geehrte Damen und Herren, ich heiße August Kowalczyk, bin 82 Jahre alt. Als polnischer Schauspieler und Regisseur war ich auch siebzehn Jahre künstlerischer Direktor von Theatern (vier in Czestochowa, vierzehn im Teatr Polski (Polnisches Theater) in der Hauptstadt Warszawa). Seit 22 Jahren befinde ich mich im Ruhestand.

Während des zweiten Weltkrieges wurde ich am 04. Dezember 1940, als 19jähriger Gymnasiast für den Versuch festgenommen, über die grüne Grenze in die Slowakei und weiter nach Frankreich in die polnische Armee zu gelangen, und in das Konzentrationslager Auschwitz – Lagernummer 6804 – gebracht.

Nach achtzehn Monaten mit doppeltem Todesurteil sowie Auspeitschung (2 Mal je 25 Schläge) bin ich während eines Aufstandes der Strafkompanie gemeinsam mit einer Gruppe von Gefangenen geflüchtet. Neun waren entkommen – zu welchen auch ich gehöre -, dreizehn wurden getötet und zwanzig wieder gefangen genommen.

Dank den Bewohnern des schlesischen Dorfes Bojszowy konnte ich überleben, indem ich mich über 7 Wochen bei ihnen versteckte. Danach wurde ich in das Generalgouvernement gebracht, wo ich zum Soldaten der AK wurde.

AK = Armia Krajowa – Landesarmee, die damals als Untergrundorganisation gegen die deutsche Besatzung kämpfte. Verbunden mit der Exilregierung Polens in London. Nach dem zweiten Weltkrieg wurden die Mitglieder dieser Organisation von der kommunistischen Regierung in Polen repressioniert.

Nach dem Krieg habe ich mein Abitur gemacht und polnische Philologie an der Jagiellonschen Universität studiert, allerdings nicht beendet. Zunächst wurde ich Adept und anschließend Berufsschauspieler für Dramas. Nach 37 Jahren Beschäftigung ging ich in den Ruhestand (1981).

Schauspielerische Tätigkeit von August Kowalczyk

Theater:

  • „Rapsodyczny“ in Kraków
  • „Teatr Ludowy i Polski“ in Warszawa
  • „Teatr Dramatyczny“ in Czestochowa
  • und wieder „Teatr Polski“ in Warszawa (künstlerischer Direktor, Regisseur, Schauspieler)

Dreißig Filme, die bedeutendsten Rollen hier:

  • „Die Fünf aus Baranska Straße“ nach K. Kozniewski, dort spielte ich den „Zenon“ (Debüt 1952), Regie Aleksander Ford
  • „Der Vogt“ in „Die Bauern“ nach Reymont (Nobelpreis in Literatur 1923), Regie Jan Rybkowski
  • „Der Einsatz ist mehr als das Leben“ (Serie über Klos ), Rolle des Leutnant Döhne, in „Polnische Wege“ – des Chefs der Gestapo Theaterrollen (die wichtigsten):
  • „Mephisto“ – „Faust“ von Goethe, Regie Józef Szajna
  • „Antonius“ in „Antonius und Kleopatra“ von Shakespeare, Regie Simonow
  • „Wurm“ in „Liebe und Intrige“ von Schiller, Regie W. Laskowska
  • „Aber“ – Gestapochef, „Auf der anderen Seite der Kerzen“ von Grochowiak in meiner Regie

Andere wichtige Regieaufgaben:

  • „Cyrano de Bergerac“ von Rostand
  • „Cymbelin“ von Shakespeare
  • „Optimistische Tragödie“ von Wiszniowski
  • „Auf Glas gemalt
  • „Ballade von Lomza“
  • „Den Traum nachleben“ von Ernest Bryll
  • „Eine Handvoll Sand“ von Jerzy Przezdziecki
  • und viele andere (insgesamt fünfzig) Fernseh- und Rundfunkarbeiten (Regisseur, Schauspieler)

Jetzt möchte ich dazu übergehen, was meiner Meinung nach das Wesen unseres Treffens ausmacht. Ich möchte Ihnen das Gedicht widmen, das ich 1987 schrieb und das eine literarische Zusammenfassung dessen darstellt, worüber ich heute mit Ihnen sprechen möchte.

Irgendwann
Ich wusste es nicht
Dass mein Platz auf der Erde
Nicht im Schatten der häuslichen Linden
Nicht in Wärme unserer Wände
Nicht unter denen, die das Lachen kennen
Nicht mit denen, die unterwegs
Zur Liebe, Hoffnung und Glaube
Die Kirchen eigener Träume bauen
Nicht im sicheren Lande
Der Schaukelpferde
Des aromatischen Brötchens vom Markte.
So hab ich erfahren
Mein Platz auf der Erde
Mit einer Dornenkrone umflochten
Halten weiße Finger der Säulen
Die Drahtader durchflutet
Von Wellen elektrischen Stroms
(jetzt nicht mehr, aber früher)
darum
wenn ich wieder herunter
in diesen Dornenkreis hinabsteige
umgeben mich –
„ links … links …
Mützen ab
Augen rechts …
Im Lager Auschwitz war ich zwar …“
– und schließlich das Endgültige
Du bist gewidmet
Dieser Erde gehörst du
Diesen Steinen.
Damals floh ich
Vor der ruinösen Manie der zwei Buchstaben „SS“
Vor der Neugierde toter Augenhöhlen
Aber mein GEDÄCHTNIS ist geblieben
Und ich kehre zurück
Weil ich HIERHIN gehöre
Zu meinem Ort
Auf der Erde
– darum
Lebe ich mit dieser Stadt
Auschwitz

„Mein GEDÄCHTNIS ist geblieben“ und sagt vor:

1. Was war Auschwitz für dich?
2. Hältst du dies für das größte Nazi-Verbrechen an deinem Leben?
3. Auschwitz als eine Nazimethode zum Brechen und Paralysieren eines Menschen.
4. Psyche und Physis im Kampf um das Leben, die Gesundheit. „Medizinische“ Methoden.
5. Wie ich mit Krätze, Läusen, Typhus, Durchfall, Kopfrheuma – DRÄHTEN – kämpfte.
6. Partner
SS-Männer
IG Farben Industrie
Bewohner von Auschwitz und Umgebung
Mitgefangene
Kapos – deutsche Funktionäre
(SS – Lachmann, Moll, der Lächelnde
– Kneipier, Posener , Holländer
– Kapo Otto Küssel, Karl Bracht, NN Placki – Buty (Engel)
– Sigrud, Fleischmann, Schornstein
7. Was empfindest du heute den Deutschen gegenüber? Was empfandest du direkt nach dem Krieg?
8. Was weißt du aus eigener Erfahrung und eigener Anschauung oder eigener Erlebnisse über den Holocaust?
9. Was denkst du über deine aktuelle Verfassung und wie ist das Verhältnis dieser zu damaliger Lagerzeit – Hungerdiät?
10. Einer von 20 Prozent der Geretteten – ein Prominenter.
11. Dein Zeugnis? Hast du es gegeben? Gibst du es? Möchtest du Zeugnis geben?

Fragt uns, wir sind die Letzten:

Im September 1939 begann die Welt für einen jungen Menschen, ein Jahr vor dem Abitur, aus einer völlig anderen Perspektive.

Mein Land, meine Schule hörten auf zu existieren.

Noch im Sommer 39, meinem letzten Bubensommer, schien es mir, dass mir das Leben offen zu Füßen liegt. Sehr schnell wurde jedoch dieses Leben sowohl im übertragenen wie auch im wörtlichen Sinne zu einem geschlossenen Leben.

Die Jugend, das zu Hause und in der Schule eingeprägte Pflichtbewusstsein gegenüber meiner Heimat brachten mich über die grüne Grenze auf den Weg zur polnischen Armee, die sich in Frankreich organisierte.

Schon nach einer Woche kehrte ich zurück, von einem Gestapomann und den Grenzschützern an einen Pkw angebunden, in einem dramatischen, siebzehn Kilometer langen Marsch nach Dukla. Das erste Gefängnis. Dann Jaslo und das zweite Gefängnis. Dann fünfmonatige Verhöre bei der Gestapo. Drei Kameraden aus meiner Gruppe wurden erschossen. Schließlich die dritte Stadt – Tarnów, und dann am 04. Dezember 1940 das Konzentrationslager Auschwitz.

An diesem Tage habe ich – wieder im Laufschritt – das Tor passiert, das heute für den besonders tückischen und lügnerischen Schriftzug bekannt ist, der die Gefangenen in allen Konzentrationslagern Hitlers begrüßte: „ Arbeit macht frei“.

Die Arbeit sollte Freiheit verschaffen – sollte es wirklich wahr sein?

Also?

Es gibt doch Hoffnung!

Vielleicht hat jemand von Ihnen, meine Damen und Herren, schon einmal im Wald die Gelegenheit gehabt, sich einen zerstörten Ameisenhaufen anzuschauen? Jemand hat gedankenlos den Hügel angestoßen, das Innere des Hügels wurde sichtbar.

Die Ameisen laufen in alle Richtungen, jede ist mit Verteidigung beschäftigt. Sie laufen, laufen und laufen verzweifelt in verschiedene Richtungen. Sie reiben sich aneinander. Besonders zum Vorschein kommen diejenigen, die die Larven schützen.

Und in der Mitte dieses Ameisenhaufens stehe ich und meine 80 Kameraden.

Denn das, was mich umgibt, ist so ein Ameisenhaufen, nur dass abgemagerte Gestalten in blaugestreifter Häftlingskleidung herumlaufen.

Gewöhnlich bewegen sich nur die SS-Männer sowie die an Seeleute erinnernden Funktionshäftlinge – Deutsche mit einer gelben Binde auf dem Ärmel und der Inschrift „Capo“.

Die Assoziation mit dem Ameisenhaufen stellt so eine „freiheitliche Kopie“ dar von etwas, was ich im Wald beobachten konnte, und was mir in diesem Augenblick als Reflexion erschien.

Jetzt, um die Ecke der Lagerstraße, kommt ein „laufender Umzug“ hervor. Kommt hervor? Nein! Läuft förmlich wie die Ameisen mit den Larven, nur dass die Skelette in Streifanzügen Kasten auf den Armen tragen. Acht Skelette tragen einen Kasten auf den Armen, vier Skelette auf der einen Seite und vier Skelette auf der anderen Seite. So werden Särge während der Begräbnisse getragen.

Es gibt sechs Kästen! Die erinnern übrigens an Särge!

Der Lauf dieses Umzuges hat etwas Tragisches und Groteskes zugleich an sich. Die Kasten springen auf den Armen, die streifigen Gestalten laufen jede in eigenem Rhythmus und zusammen bewegen sie sich fast gar nicht vom Platz.

Ein Film in verlangsamtem Tempo, eine geheimnisvolle und irgendwie entsetzliche Zeremonie.

„ Was tragen sie?“ – frage ich meinen Kollegen nebenan – „Steine, Sand?“

„ Werden wir wohl sehen“ – antwortete er.

Die Kolonne machte Halt vor dem Tor. Die Kasten fielen von den Armen mit Krach auf den gefrorenen Boden. 48 Skelette begannen heftig ihre Arme zu bewegen. Ein Versuch, die durchgefrorenen Körper zu erwärmen. Lufttemperatur – Minus 20 °C.

Plötzlich kommt aus dem Wachhaus auf der anderen Seite ein SS-Mann hervor. Das Kommando „Mützen ab“ erschallt! Die Skelette decken ihre rasierten Köpfe ab.

Der SS-Mann, der wohl in meinem Alter ist, summt irgendeine Melodie. Dieser Junge ist mehr als gut aussehend, wenn man es über einen Mann sagen kann, dass er schön ist, dann war dieser SS-Mann schön.

Er ging zum ersten Kasten.

Kommando:
„ Ab!!!“

Es stellte sich heraus, dass die Kasten Deckel hatten, die jetzt abgerissen auf den Boden fielen.

Ich sah!

In jedem Kasten lagen wie Heringe zwei nackte, tote und unvorstellbar abgemagerte Körper. Auf der Brust jedes Körpers war mit einem Kopierstift (damals wurde noch nicht tätowiert) eine Nummer geschrieben.

Der schöne Junge in SS-Uniform bückte sich und holte aus dem Stiefel einen langen Nagel, etwa einen halben Meter lang. Dann ging er auf den Kasten zu und stieß den Nagel ins Herz eines der Toten – ja, jetzt ist er bestimmt tot. Danach nahm er sich den zweiten vor – ja, auch dieser war jetzt sicher tot.

Zwölf Mal, danach wurden auf Kommando die Kasten mit Mühe von der Abteilung angehoben, um in einem „Laufkondukt“ die Kollegen in das Krematorium zu bringen.

Danach erfuhr ich, dass diese Abteilung als „Leichenträger“ bezeichnet wurde, und dass sie häufig nach einigen Tagen von ihren Nachfolgern hinter das Tor getragen wurden.

Es waren nur ein paar Monate vergangen und schon habe ich meine Kollegen – Mitgefangenen -, die bei der Arbeit gestorben waren, von der 6 km vom Lager entfernten Baustelle der Fabrik der IG Farben Industrie in Dwory, unter wachsamen und verbrecherischen Blicken der SS und den Schlägen der Kapos – Aufseher -, und derjenigen, die das Hirn dieses verdammten Ortes und der weiteren entstehenden Betriebe der IG Farben, die für den Krieg arbeiteten und gemeinsam mit ihren Freunden – Mitwissern vom Zeichen der SS – für den Krieg töteten, getragen.

Und wenn auf der Baustelle die Leichen fielen, drehten sie die Köpfe in eine andere Richtung und stellten die drei berühmten Äffchen nach – Symbole, die nicht sehen, nicht hören und nicht sprechen. Nur waren sie wie das vierte, zwar nicht existente Äffchen – das eine, das das Geld zählte.

Die Leute fielen, die Mauern wuchsen, und was war mit dem Rest?

Das spielt keine Rolle.

Wir dagegen kamen jeden Tag von der Arbeit und trugen die anderen, die getötet wurden, zwei Mal getötet – man hat ihnen das Leben und die Würde des Todes genommen.

So trugen wir zu viert jeden toten Kollegen an den Armen und Füßen. Die dabei automatisch heruntergezogene Hose entblößte schamlos die männliche Nacktheit.

Damit es schon vollkommen „höllisch“ wirkte, kehrten wir in das Lager im Takt der Wälzer von Strauß, die von einem Lagerorchester – ja, sie haben richtig gehört – einem ORCHESTER gespielt wurden, das zu dem Aufmarsch und der Rückkehr der Sklaven der SS, verkauft an den IG Farben Konzern, spielte.

Im Lager wurden die Toten beim Appell neben die Lebendigen gelegt. Der Personenstand musste übereinstimmen. Nur dass kein Kommando mehr die Liegenden bewegen konnte.

Für sie führten die Kollegen Gefangenen das Kommando „Mützen ab“ aus. Sie entblößten die rasierten Köpfe zum Abschied von Opfern der wahnsinnigen Idee des Völkermordes, die durch den Vertrag über Sklavenarbeit rechtfertigt wurde – Arbeit der Gefangenen des Konzentrationslagers Auschwitz für den Krieg, für IG Farben.

In dieser lähmenden und erdrückenden Realität bestanden aber auch zwischenmensch-liche Verhältnisse.

Dabei erschienen sowohl diejenigen, gegenüber welchen ich machtlos war und die mein Leben gefährdeten, wie auch diejenigen, die mich vor denen bewahrten.

Lagerältester zwei – ein deutscher Gefangener, Krimineller, grüner Bengel. Er schlug mich zusammen im Block vier und hat mich zur Arbeit in der Abteilung Bunawerke IG Farben abkommandiert. Dort ist aber in meinem Raum, meinem zwischenmenschlichen Raum der Kommandoführer von Buna, Scharführer Stolten, eingetreten, der seit dem ersten Kontakt mir gegenüber eine schützende Stellung eingenommen hat. Er teilte mir Arbeiten zu, die nicht tödlich waren. Er machte mich zum Vorarbeiter, einem selbständigen Kommandanten der Steinsetzer, dann Bodenbelastungsproben, dann Kloster Kommando.

In diesen Raum kamen sowohl die SS-Männer, Kapos wie auch Bewohner von Auschwitz, meistens aus dem konspirativen „Zwiazek Walki Zbrojnej“ und später aus der „Armia Krajowa“, hinein.

Zwiazek Walki Zbrojnej = ZWZ, Verband für bewaffneten Kampf – eine Untergrundorganisation im II. Weltkrieg in Polen. Ab 1942 in die „Armia Krajowa“ umgewandelt

Die Liste ist sehr lang, denn es sind – heute muss man eigentlich schon sagen waren – nicht zu wenige Gerettete!

Ich möchte hier nur einige wenige heroische Bewohner aus Auschwitz nennen: Helena Stupkowa und ihr fünfjähriger Sohn Jacek, Maria Zebaty oder die achtzehnjährige Marysia Krzemien und die etwa jüngere Dziunia Lesniak – heute ehrwürdige Wladyslawa Kocot, und die Mutigen Schlesier aus dem Land um Pszczyna, dem Dorf Bojszowy – Familien Lysek und Sklorz, die bis zum Opfer ihres Lebens gegangen sind.

Und auch der SS-Mann, Rottenführer, „der Lachende“ – ein Pseudonym, das ihm von den Gefangenen unseres Blocks verliehen wurde, weil er unser Blockführer war – trat in diesem Raum auf.

„ Der Lachende“ schreibt mit einem Lächeln eine Strafmeldung über meinen Kollegen, einen 16jährigen Jungen, den wir den „Kleinen“ genannt haben und der von der Arbeit sechs rohe Kartoffel mitgebracht hat, die er irgendwo fand. Die Meldung besagte trocken: „hat sechs Kartoffel gestohlen“!

Die Entscheidung des Lagerkommandanten: sechs Nächte im Stehbunker, 90×90 cm. Vier Gefangene stehen die ganze Nacht, keine Luft. Die Decke direkt über dem Kopf, und darin ein „Fenster“ 30×20 cm.

Der „Kleine“ steht fünf Nächte, jeden Morgen zur Arbeit, abends in den Bunker. Er hielt durch. Für die sechste Nacht, am Samstag, kamen etwa 60 Gefangene zum Stehbunker. 16 wurden in den Zellen 90×90 cm eingeschlossen, und über 40 im Dunkelarrest, in der Zelle 20 eingesperrt.

Wegen des Luftmangels erstickte der „Kleine“, wie auch elf weitere, und zwei wurden irrsinnig. Die anderen wurden halbtot morgens am Sonntag vom diensthabenden SS-Mann gerettet. Der Kleine erstickte. Tod für sechs Kartoffeln.

Das ist das einfachste Beispiel meiner Formel für das Wesen des nazistischen Konzentra-tionslagers:

JEDE ENTSCHEIDUNG BRACHTE IMMER EINE VON BEIDEN LÖSUNGEN MIT SICH – ENTWEDER DAS LEBEN ODER DEN TOD.

Der „Kleine“ traf eine Entscheidung: Kartoffel –
– es schien eine Entscheidung für das Leben zu sein –
Der Lagerkommandant entschied den Stehbunker –
– es stellte sich heraus, dass es für den Tod war.

So gewann das Böse in dem zwischenmenschlichen Raum.

Es kam aber auch anders.

Ein junger SS-Mann wollte mein Vertrauen gewinnen und griff in seine Manteltasche. Auf seiner Hand sah ich einen Rosenkranz und darüber, auf dem Ärmel des SS-Mantels, das schwarze Band mit der Inschrift „Adolf Hitler – Standarten“.

Eine seltsame Nachbarschaft. Das Leben war und ist sehr viel komplexer, als es scheint.

Dieser Junge war halb Deutscher, halb Holländer. Sein Vater, Bankdirektor in Amsterdam, meldete ihn zu der SS-Belegschaft im Konzentrationslager Auschwitz, um ihn vor der Ostfront zu schützen.

Welche Bilder habe ich noch bis heute in mir, mit denen ich trotz allem zu leben gelernt habe?

Die Pfostenstrafe – für die Flucht eines Kollegen, und den Schrei eines im Schmerz wimmernden Kameraden: „Mutter, du alte Hure, warum hast du mich nur geboren?“ – in Polnisch, und sofort anschließen „Oh Mutter“ in Deutsch, danach fiel er in Ohnmacht.

Er wurde vom Pfosten abgenommen und auf dem Bock zum Auspeitschen gelegt. Nach 15 Schlägen mit dem Ochsenziemer war er wieder wach und wurde erneut am Pfosten aufgehängt, mit nach hinten verdrehten Händen.

Doch vor allem sollte ich mich an den Weg zu diesem Pfosten, in den Dachboden des Blocks 11 – des Todesblocks – erinnern.

Ich wusste nicht, wozu wir dorthin gingen.

Wir waren zwölf.

Vor einem Augenblick bin ich direkt an dem Tod vorbeigestreift. Der Lagerführer wählte zehn für den Hungerbunker aus. Als Vergeltung für eine Flucht. Und jetzt wieder. In Begleitung einer sehr zahlreichen SS-Eskorte. Die Gedanken liefern im Computertempo ab.

Wofür? Warum?
Vor die Todeswand?
In die Strafkompanie?
Auspeitschung? Oder Pfosten?
Vielleicht der Stehbunker?

Jede Variante war gleichermaßen wahrscheinlich.

Klar, die Gedanken an das Schlimmste beherrschen mich! Meine Beine werden schwerer, wie aus Blei. Ich kann kaum noch gehen. Und diese Bilder. Erinnerungen an das bisherige zwanzigjährige Leben. In einer Sekunde, in Sekundenbruchteilen laufen Bilder ab, sie erscheinen parallel, gleichzeitig. Jedes sehr deutlich und lesbar.

Erste Liebe, Erstkommunion, eine Schar Jungen, die mit mir Äpfel in dem Priestergarten stehlen, das Holzklo und der zehnjährige Heniek mit seinen Wolllüsten eines Teenagers, der Fladen auf glühender Kohle und die in der Sonne trocknenden Käselaibe, das Klackern der Türklinke in der Küche im Heimatdorf Dzierzgowo. Ich schaukle auf dem Schaukelpferd, vor mir stillt meine Mutter meinen jüngsten Bruder Jerzy…

Halt!!!

Block elf! Pfosten!

So eine Freude, dass es diesmal noch nicht endgültig ist, noch nicht dieses Mal.

Ein Augenblick, das kürzeste Gebet:
„ Jesus, ich danke Dir – heiligste Gottesmutter, ich danke Dir!“
Und noch an meine eigene Mutter: „Mutti, ich bin da, ich lebe, ich komme zurück!“
Ich glaubte, liebte, wurde geliebt, und daraus kam meine Entschlossenheit im Kampf gegen das, was mich umgab, aber auch gegen das, was in mir war.

Typhus.

Typhus – bedeutete meistens das Todesurteil. Wenn du die Chance hattest, gegen die Krankheit anzukämpfen, so konntest du früher im Krankenhaus in einer der vielen Selektionen in die Gaskammer kommen oder mit einer Phenolspritze ins Herz enden.

Neun Tage mit etwa 40 °C Fieber. Die Kollegen versteckten mich im Block, in der dritten Bettetage. Unter der Decke versetzte ich meine Kollegen ins Staunen, dass ich keine Fieberphantasien hatte. Als wenn ich wusste und daran dachte, dass dies lebensgefährlich sein kann.

Ich erholte mich vom Typhus – und ging wieder zur Arbeit.

Eines Tages, es kam plötzlich. Schon nach dem Frühstückskaffee aus Eicheln musste ich dreimal zur Latrine laufen. Kaum schaffte ich das. Und nach dem Appell „Arbeitskommando abtreten“ der Gang zur Buna!

Schon am Tor begann der Kampf. Kampf mit dem Magen – der vom blutigen Durchfall angegriffen wurde. Von dem Lagerdurchfall. Die Innereien verdrehten sich schmerzhaft und proportional zu diesen Konvulsionen zogen sich verzweifelt die Pobacken zusammen.

Das Eine wusste ich ganz sicher – ich darf mich nicht ergeben. Ein stinkender Gefangener wurde zu einem direkten Grund von Angriffen der SS-Männer und Kapos. Und vor allem war da auch das Gefühl der persönlichen Würde, so wie während des Laufs nach Dukla hinter dem Auto. Ich darf den Schindern keine Schwäche zeigen. Das würde das Überschreiten der psychischen Grenze bedeuten, hinter der es zu einem Zusammenbruch kommt. Danach kommt es zur Zersetzung der körperlichen Kondition. Und das Ergebnis? Aufgabe ohne Kampf, oder wie der stellvertretende Lagerkommandant sagt, der „Weg in die Freiheit durch den Schornstein des Krematoriums“.

Das Schlimmste kam aber im Waggon. Hier war ich unter meinesgleichen, unter Kollegen.

Aber welche Bedeutung hätten meine ständigen Bemühungen um die Einhaltung maximaler Sauberkeit, mein Kampf mit den Läusen oder neue Wäsche gehabt? Neue Wäsche, noch nicht gewaschen. Bequeme Schuhe. Oder spezielle Keile in den Hosen, die von den Kollegen Schneidern für Brot- und Margarineportionen eingenäht wurden, und gut anliegender Streifenanzug – welche Bedeutung würde das alles haben, wenn ich mir in diesem Augenblick – ganz einfach – in die Hose gemacht hätte?

Nein! Verzweifelt, den Wörtern „Kampf ums Leben“ adäquat – NEIN!

Dann begann der Gang vom Bahnhof zur Baustelle in Buna. Ich zählte die Minuten, die Sekunden, die mich von der Latrine in Buna trennten.

Endlich war ich sicher – ich schaffe es. Und ich schaffte es! Schon sah ich die Büsche! Schon die Baustelle! Dann das Kommando zur Arbeit abzutreten!

Der verzweifelte Lauf. Knöpfe, Hose, der Balken über der Grube – und die Erleichterung. Erleichterung und vor allem Freude, das Gefühl des Sieges über sich selbst, über die Krankheit. Ich besiegte die Physiologie der Krankheit, die Physiologie des eigenen Körpers. Also bin ich stark, habe die Chance zu überleben.

Bis Mittag verbrachte ich mehr Zeit in der Latrine als an der Schaufel. Mittags war ich aber schon sehr erschöpft. Der blutige Schleim war alles, was sich in meinem Körper befand.

Ich beschloss mich zu retten. In das Feuer – ich weiß nicht mehr, wer es für seine Arbeit benötigte – stecke ich ein großes Holzscheit. Ich achtete darauf, dass es nicht vollständig zur Asche verbrennt. Ich brauchte Kohle, und es klappte.

Beim Mittagessen steckte ich verkohlte Holzstücke in die Schüssel und versuchte mit einem anderen Scheit diese in möglichst kleine Stückchen zu zerdrücken. Ich musste es sehr vorsichtig machen, um die Steingutschüssel nicht zur zerbrechen. Schließlich hatte ich eine halbe Schüssel von einigermaßen zerkleinerter Kohle gehabt.

Ich ging zum Kessel. Der Kollege teilte die Gerstengraupensuppe aus und schaute sich erstaunt den schwarzen Inhalt des Gefäßes an.

– Durchfall! Gib mir was von dem Dicken!

So konnte ich nur zu einem Kollegen sprechen. Sonst würde man sich nur einen mit der Suppenkelle auf den rasierten Deckel holen.

Er schöpfte vom Boden und hatte nur Graupen auf der Kelle. Die gab er mir in die Schüssel.

– Danke.
– Zum Wohle.

Ich setzte mich an die Wand der Baracke und versuchte mühsam, die Kohle mit den Graupen zu mischen.

Ich begann zu essen. Die nicht vollständig ausgebrannte Kohle knisterte und knirschte zwischen den Zähnen, ich würgte, aber hustend und würgend habe ich schließlich diese weiß-schwarze Speise verdrückt.

Ab diesem Zeitpunkt war Schluss mit dem Laufen zur Latrine. Das war der Erfolg von Kohle und nicht von mir.

Das war das einzige Mal. Dann bis Ende meines Aufenthaltes im Lager erkrankte ich nicht wieder.

Meine Zusammenarbeit mit der konspirativen Organisation polnischer Frauen, die Bewohnerinnen von Auschwitz waren, wurde plötzlich und jäh unterbrochen. Ich wurde von einem unbestechlichen SS-Mann beim Schmuggeln von Lebensmitteln und Medikamenten ins Lager erwischt. Am 16. Mai 1942 wurde ich bei der Rückkehr von der Arbeit ins Lager an der Pforte wegen des Kontakts mit Zivilbevölkerung festgenommen und zur Strafkompanie verurteilt. So sollte ich ein paar Tage vor meiner Flucht meine Bilder von Holocaust erleben, zwar sehr symbolisch, aber doch bis zum Schmerz intim.

Juni 1942.

Ort – Meliorations-, Abflussgraben, der von den SS-Männern stolz der „Königsgraben“ genannt wurde und außerhalb des damaligen Birkenaugeländes lag. In drei oder vier Wochen wird Birkenau dadurch mit der Weichsel verbunden. Dafür werden etwa zehn Menschen sterben, der Graben wird vom Blut durchtränkt, aber die Melioration des nassen, morastigen Bodens für das Lager wird zur Tatsache. Und zwar im Tempo, das nur der Hauptscharführer Moll, der SS-Kommandant der Strafkompanie, erreichen kann.

Jetzt stand er auf dem hohen Damm und streifte mit den Augen des zufriedenen Wirts über das gesamte Gelände. Plötzlich stoppte sein Blick an einer Stelle, aus der eine graue Gestalt mit rot-gelbem Stern auf der Brust hervor gekrochen kam. Wackelnd begab sich diese Gestalt in Richtung eines hoch angelegten Würfels von Grasnarbe und fiel dort kraftlos zu Boden.

Schleichend wie ein Jagdhund ging Moll näher heran und schaute zu. Unter seinen Füßen lag bewegungslos, mit dem Gesicht zur Sonne, ein alter, elender Jude. Wohl der letzte aus der Strafkompanie. Seine Augen waren geschlossen.

– Auf – schrie Moll und versuchte ihn mit einem Tritt zum Aufstehen zu zwingen.

Der Jude öffnete langsam seine abwesenden Augen, stand aber nicht auf. Moll ließ den Dolmetscher und zwei Gefangene kommen.

– Aufstellen.

Sie stellten den armseligen Mann auf, wobei sie ihn stark festhalten mussten.

– Warum arbeitest du nicht? – fragte Moll über den Dolmetscher.
– Ich bin krank, alt, habe keine Kraft – antwortete angestrengt der Gefangene.
– Wie alt bist du?
– Siebenundsechzig.
– Was bist du von Beruf? – fragte der SS-Mann.

Der Jude schaute erstaunt, als hätte er schon seine Antwort gehört, die noch nicht gegeben war.

– Tanzlehrer.

Die Worte klangen wie ein Schuldbekenntnis. Und der Moll lachte herzhaft.

– Loslassen…! – befahl er.

Die Gefangenen, die den alten Mann unterstützten, gingen zur Seite. Der Tanzlehrer fiel vor die Füße des SS-Mannes.

Moll schob den liegenden Mann mit einem Tritt weg, packte ihn an den Füßen und begann in Richtung des Kanals zu ziehen. Er stoppte an einem kleinen, matschigen Sumpf.

– Du! – schrie er zum Dolmetscher und zeigte mit deutlicher Geste auf die kraftlosen Hände des Liegenden. Der Dolmetscher packte den Juden an den Händen, der jetzt über dem Boden in einem gelähmten Bogen wie ein totes Tier hing.

– Dorthin… Pass auf… Eins – zwei – drei…!

Der aufgeschaukelte Körper fiel in einem kleinen Bogen plumpsend in den Sumpf.

– Zeig jetzt, was du kannst. Das ist meine Komposition mit dem Titel „Abschied“ und dein letzter Tanz.

Moll klopfte die Uniform ab und putzte sich die Hände mit einem Taschentuch.

Der Jude fiel auf den Rücken. Er hat nicht einmal geschrien. Seine offenen Augen schauten in die Sonne. Der gesamte Körper und sein Kopf versanken langsam im Matsch. Plötzlich zuckte der Alte zusammen. Konvulsionskrämpfe schüttelten ihn ein Mal und ein weiteres Mal durch.

– Also, doch kannst du tanzen – kommentierte Moll.

Der Matsch bedeckte schon vollständig die Beine und Hände und reichte bis zu den Ohren. Nur auf der Brust des aufgeblähten Streifenanzugs war der aus zwei Dreiecken – rot und gelb – bestehende Davidstern zu sehen. Durch das beschmutzte Gesicht flossen zwei große Todestränen.

Moll versteckte das Taschentuch, nahm ein Stück Grasnarbe vom Boden auf und war es direkt ins Gesicht des Ertrinkenden. Ein klebriger Klatsch war zu hören und der Kopf versankt unter dem grünen Grasquadrat. Jetzt war nur noch die gestreifte Brust mit der Nummer und dem Stern zu sehen. Der Matsch unterlief die Nummer und überlagerte langsam ihre Ränder, verteilte sich über den Streifenanzug. Nur der Stern blieb. Ein Stern auf dem in der Sonne glänzenden Matsch.

Moll warf erneut. Die Grasnarbe fiel weit vom Ertrinkenden. Wütend fing er an, Stück nach Stück zu werfen. Ein Stück fiel schließlich auf die Brust des Alten. Des Alten, der nicht mehr da war. Der aufgeschaukelte Matsch streifte die Spitzen des Sterns, griff noch Mal und noch Mal an, bis er schließlich über den Stern lief und zur Ruhe kam.

Auf der schwarzen Fläche waren ein Paar Büschel vom grünen Gras zu sehen.

Warum habe ich das als mein letztes Bild vom Holocaust bezeichnet?

Wegen der reziproken Bedeutung von:
„ Wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt.
Wer ein Leben vernichtet, ermordet die ganze Welt.“

Und erneut bin ich Zeuge – der erste Transport von Juden aus der Slowakei. Eine Gruppe von etwa 100 – 150 Frauen und Kindern, beladen mit Bündeln, Koffern, bewegte sich angestrengt unter SS-Eskorte von der Pforte in Richtung des Krankenhausblocks? Todesblocks?

Ich passierte sie bei meinem Gang aus dem Lager zur Baustelle „Bauhof II“. Wohin sie gingen, weiß ich nicht. Vielleicht zur Phenol-Todesspritze, vielleicht sollten sie im Hof des Blocks 11 erschossen werden.

Dafür sah ich die Zusammenstellung des Zuges, mit dem sie kamen. Personenwaggons mit einem Sanitärwaggon, gekennzeichnet mit einem roten Kreuz.

So bestätigte sich die Information, die SS-Version. Die Juden werden umgesiedelt.

Nach vielen Jahren lernte ich eine Schriftstellerin aus Israel kennen, die als 13jähriges jüdisches Mädchen das Warschauer Ghetto überlebte. Umschlagplatz, Majdanek, Gaskammer – dort wurde sie abends eingeschlossen, aber kam morgens ins Lager. Das Zyklon-Gas wurde nicht rechtzeitig geliefert – das Gas, das tötete. Sie überlebte auch Auschwitz-Birkenau, Monowitz – Evakuierung. Sie wurde gerettet.

Im November 1994 hat sie Holocaust beschrieben – in 30 Wörtern:

Wäre ich in Treblinka gestorben
Bliebe ich mit meinem Vater
Wäre ich gestorben
In Majdanek
Wäre ich mit der Asche meiner Mutter geblieben
Stürbe ich in Auschwitz
Bliebe ich mit meinem Bruder
Und meiner Schwägerin
Sollte ich dort sterben
Wäre der Tod
Für mich
Nicht schrecklich.

Bis heute fand ich keine Antwort auf eine Frage. Warum ich, warum wurde gerade ich gerettet.

Um das Zeugnis abzulegen.

Nicht alle möchten zuhören, aber meine 6.178 Treffen mit polnischen, französischen, deutschen, japanischen, russischen, israelischen Jugendlichen innerhalb von 20 Jahren sind die Antwort.

Vielleicht auch das, dass ich heute vor Ihnen sprechen darf?

Wenn ja, dann werde ich bis zu meinem letzten Atemzug für mich und für die in den teuflischen Quadraten aus Stacheldraht Gefallenen, welche die Welt durch die verbrecherische Idee und deren Vollstrecker teilten, Zeugnis ablegen.

Wenn ja, dann bin ich heute ein Stück näher der Antwort auf die Frage „warum“ gerückt.