Noch bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts legten die Mainstream-Medien auf die kriminellen Machenschaften der Pharmaindustrie wenig Augenmerk. Während Vorfälle wie die Thalidomid-Affäre zwar das Bewusstsein für die von Medikamenten ausgehenden Gefahren verstärkten, galt die Arzneimittelbranche in der öffentlichen Wahrnehmung noch immer als ein der Menschheit nützlicher Wirtschaftszweig. Dieses Image hat sich heute jedoch grundlegend gewandelt.
Die Liste der von Pharmaunternehmen begangenen Verbrechen und Verfehlungen verlängerte sich in den letzten Jahren deutlich. Darunter Delikte wie das Fälschen von Daten zu Medikamenten; unterlassene Warnungen vor den medikamentösen Risiken gegenüber Patienten; der Beitrag zur Opiod-Krise und das Profitieren daraus; das Bestechen von Ärzten und Gesundheitsbeamten. Machenschaften wie diese haben nicht nur dazu geführt, dass die Berichterstattung darüber in den Mainstream-Medien geradezu „normal“ wurde. Auch das Ansehen der Pharmaindustrie ging zusehends den Bach runter.
Oft wird behauptet, der pharmaorientierte Medizinansatz sei wissenschaftsbasiert. Die Wahrheit sieht freilich anders aus. Im Streben um Zulassung ihrer Wirkstoffe und damit um Realisierung von Milliarden-Dollar-Gewinnen ist es bei weitem keine Seltenheit, dass Pharmaunternehmen Studienergebnisse manipulieren. Ein aktueller Fall ist der um die US-amerikanische Firma Acerta Pharma, die im Jahr 2015 die Daten zu Acalabrutinib, einem Blutkrebspräparat fälschte.
Im Jahr darauf erwarb der britische Pharmakonzern AstraZeneca Mehrheitsanteile an Acerta Pharma auf eben der Grundlage, dass Acalabrutinib im Versuch an Mäusen angeblich therapeutischen Nutzen bei Pankreaskrebs unter Beweis gestellt habe. Doch kurz vor der Finanzspritze AstraZenecas musste Acerta eine Studie zurückziehen, welche die Wirksamkeit des Medikaments vortäuschte. Anschließend gab AstraZeneca die Manipulation der Daten zu, wies aber einem früheren Mitarbeiter von Acerta die Verantwortung dafür zu.
Unterdessen nahm Acalabrutinib bei der US-Arzneimittelbehörde FDA seinen Weg, um zur Behandlung von Lymphomen zugelassen zu werden. Das Zurückhalten von Informationen stellt bei der Pharmaindustrie keinerlei Ausnahme dar.
Werden gefälschte Studiendaten vorgelegt, erhöht sich angesichts der mit Arzneimitteln einhergehenden Risiken die Wahrscheinlichkeit für unvorhergesehene Nebenwirkungen offenkundig noch weiter. Allerdings ist für Pharmaunternehmen ein solches Problem nicht zwangsläufig Anlaß, um vor den Gefahren zu warnen.
2017 kam heraus, dass Hunderte von zu Tode gekommenen Patienten und Millionen von Nebenwirkungen Betroffene im Zusammenhang mit Actemra standen, einem Medikament des Schweizer Pharmariesen Roche gegen rheumatoide Arthritis. Einige Berichte gaben die Zahl der Todesfälle mit mehr als tausend an. Eine Untersuchung fand heraus, dass Patienten, die das Mittel einnahmen, an Komplikationen des Herz-Kreislauf-Systems bzw. der Lunge verstarben, und dass bei Actemra, anders als bei anderen Arthritis-Medikamenten, diese Warnungen nicht in den Patienteninformationen angegeben waren. Von konkurrierenden Medikamenten war bereits bekannt, dass mit ihnen ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte, Herzversagen oder lebensbedrohlichen Lungenkomplikationen verbunden ist, weshalb diese Hinweise in den Beipackzetteln offiziell vermerkt waren.
Wohl nicht zuletzt aufgrund der unterlassenen Warnungen machte Roche im Jahr 2016 mit Actemra rund 1,7 Milliarden Dollar Umsatz.
Seit den späten 1990ern gab es einen rapiden Anstieg im Gebrauch von verschreibungspflichtigen Opioden. Im Jahr 2011 wurden Opiod-Medikamente in den USA zu der am häufigsten verschriebenen Arzneimittelklasse. Chemisch verwandt mit Heroin und auch mit ähnlichen Wirkungen, erzeugen Opiode extreme Abhängigkeit. Infolge von Überdosierung starben zwischen 1999 und 2017 knapp 218 000 Amerikaner an diesen Medikamenten.
Als maßgeblich verantwortlich für die Krise wird von vielen Beobachtern das US-Unternehmen Purdue Pharma angesehen. Nach Einführung von OxyContin als leistungsstarkes Schmerzmedikament im Jahr 1996, zog die Firma mit einer aggressiven Vermarktung zu Felde. Angeblich mache das Opiod-Präparat kaum abhängig, berge wenig Gefahr für Missbrauch und weise geringe Wahrscheinlichkeit für narkotische Nebenwirkungen auf.
Ein Jahrzehnt später gestanden Führungskräfte von Purdue in Gerichtsverfahren ein, dass sie das Medikament in betrügerischer Absicht bzw. Täuschung vermarktet hatten. Im Jahr 2007 wurde das Unternehmen, in einem der größten Pharma-Gerichtprozesse in der Geschichte der USA, zu einer Geldstrafe von 600 Millionen Dollar verurteilt. Verglichen mit den rund 35 Milliarden Dollar, die Purdue den Angaben zufolge mithilfe von OxyContin abgeschöpft hat, ist dies freilich eine schwache Strafe.
Bei Milliarden von Dollar, die auf dem Spiel stehen, greifen Pharmaunternehmen ohne Umschweife auch auf Korruption zurück, wenn dadurch höhere Profite generiert werden. Exemplarisch ist der Fall von GlaxoSmithKline aus dem Jahr 2014. Damals wurde der britische Pharmakonzern wegen Bestechung chinesischer Gesundheitsbehörden zu einer Strafzahlung von 489 Millionen Dollar verurteilt. Man sah es als erwiesen an, dass das Unternehmen sich eines Geflechts von Reiseagenturen bedient hatte, um Ärzten und Krankenhäusern in China Bestechungsgelder zukommen zu lassen, damit diese für die Verbreitung von GSK-Produkten sorgten.
Der chinesische Korruptionsfall brachte das britische Vorzeigeunternehmen international erheblich in Misskredit. Mit Verhängung des Bußgelds gehört also auch GlaxoSmithKline offiziell in die Reihe der in Bestechung verwickelten Pharmaunternehmen. Andere Beispiele betreffen etwa Novartis, Sanofi, Johnson & Johnson und Pfizer. Den allgemeinen Niedergang der Reputation der Pharmaindustrie haben sich die Unternehmen ganz allein zuzuschreiben.