Der multinationale Pharmakonzern Bayer räumt öffentlich ein, dass der von ihm im vergangenen Jahr für 63 Milliarden Dollar übernommene Biotech-Gigant Monsanto ›Beobachtungslisten‹ über einflussreiche Personen in Europa geführt hatte. Die aufsehenerregende Firmenmitteilung wird als Reaktion auf kürzlich bekannt gewordene Ermittlungsergebnisse der französischen Staatsanwaltschaft verstanden. Die juristischen Untersuchungen gehen den Anschuldigungen nach, Monsanto habe Aufzeichungen über 200 französische Bürger vorgenommen, darunter Politiker und Journalisten, mit der Absicht, deren Haltung zu Pestiziden und genmanipulierten Pflanzen zu beeinflussen. Das jetzige Eingeständnis verschärft die Krise um den Pharmakonzern, der mit der Übernahme des umstrittenen Biotech-Giganten massiv unter Druck geraten ist. Denn im Zusammenhang einer Flut von Gerichtsprozessen sieht sich Bayer bereits mit Schadenersatzzahlungen im Umfang mehrerer Milliarden Dollar an Krebspatienten konfrontiert, die ihre Erkrankung auf die Anwendung des Unkrautvernichters Roundup von Monsanto zurückführen.
Angefertigt wurden die geheimen Monsanto-Dossiers anscheinend über Menschen aus mindestens sieben europäischen Ländern, nämlich Frankreich, Deutschland, Italien, die Niederlande, Polen, Spanien und Großbritannien. Beauftragt worden sei damit angeblich die PR-Agentur FleishmanHillard. Es wird davon ausgegangen, dass auch Interessensvertreter in Institutionen der Brüsseler EU auf der Liste geführt werden.
Ebenfalls in Bezug auf Monsanto musste Bayer unlängst die Entscheidung einer Jury in Kalifornien entgegennehmen. Die Geschworenen verpflichteten den Konzern zu einer Zahlung von mehr als 2 Milliarden Dollar an Alva und Alberta Pilliod. Bei dem Paar war es nach dem Gebrauch von Roundup zur Entwicklung von Krebs gekommen. Für Bayer ist dies in Kalifornien bereits der dritte Fall einer Schadenersatzzahlung im Zusammenhang mit dem giftigen Pflanzenvernichter und bis jetzt der höchste verhängte Betrag. Die beiden anderen Fälle beziehen sich auf Dewayne Johnson, den Hausmeister einer Schule, dem im vergangenen Jahr zunächst 289 Millionen Dollar zugesprochen wurden, wobei die Summe wegen juristischer Formalitäten auf 78 Millionen Dollar gemindert wurde, sowie auf Edwin Hardeman, dem im März dieses Jahres 80 Millionen Dollar zuerkannt wurden. Beide Kläger entwickelten Krebs nachdem sie die Chemikalie genutzt hatten.
Unterdessen stehen in den USA noch 13400 Anklagen gegen Bayer im Zusammenhang mit Roundup an. Der Aktienwert des Unternehmens war im letzten Jahr zusehends abgestürzt, und mittlerweile harrt selbst die Kreditwürdigkeit einer genauen Überprüfung. Die Zukunft des Konzerns ist zweifellos bedroht. Vor diesem Hintergrund trägt auch ein jüngstes Gerichtsverfahren in Australien nicht dazu bei, die Probleme Bayers zu entschärfen. Betroffen ist ein Gärtner aus Melbourne, der nach Verwendung des Unkrautvernichters Krebs entwickelte. Eher scheinen sich die juristischen Auseinandersetzungen noch auf andere Länder auszuweiten.
Während Vorstandschef Werner Baumann die Übernahme Monsantos nach wie vor schamlos als ›gute Idee‹ darstellt, scheinen selbst große Anteilseigner von Bayer dies nicht länger zu glauben. Im Vorfeld einer entscheidenden Abstimmung auf der jüngsten Jahresversammlung der Anleger des Unternehmens kündigte der Blackrock Fondsmanager an, Bayers Kurs nicht mehr unterstützen zu wollen. Als größter Anteilseigner des Unternehmens war Blackrocks Aussage dazu gedacht, eine klare Botschaft an den Vorstand zu richten, dass man unzufrieden damit sei, wie mit dem Monsanto-Deal umgegangen werde. Anschließend verweigerten mehr als 55 Prozent der Eigner dem Vorstand Bayers die Entlastung.
Aufschlussreich ist, dass der beispiellose Vertrauensentzug gegenüber dem Vorstand unter Baumanns Führung vom Bayer Aufsichtsrat praktisch ignoriert wurde. Das vermehrt den Unmut der Anleger noch weiter und so erreichen den Vorstand Forderungen nach Auflösung. Angesichts der potentiell krebsauslösenden Wirkung von Roundup, die infolge der Klagen eine Lawine von Schadenersatzzahlungen im Umfang von wohl Hunderten Milliarden Dollar nach sich zieht, beginnen offenkundig schon die Aasgeier ihre Kreise über dem Unternehmen zu ziehen.
Könnte dies der Anfang vom Ende des Konzerns sein, dessen schändliche Rolle bei IG Farben und bei Auschwitz nach dem Zweiten Weltkrieg zum Tribunal in Nürnberg führte, bei welchem die Bayer-Manager wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurden? Verlässliche Aussagen hierzu sind sicher noch zu früh, doch ist eines gewiss: Bayer kämpft gegenwärtig ums Überleben.